Paukenschlag zum Dauerthema „Rettungsgasse“, die ab 1. Jänner 2012 bei Staubildung auf heimischen Autobahnen und Schnellstraßen gesetzlich vorgeschrieben ist: Selten sei in einem Projekt so viel Unwahrheit verbreitet und so viel Geld ausgegeben worden wie bei der unseligen Rettungsgasse, so die harsche Kritik von ÖAMTC-Verkehrschef Willy Matzke. Der Club habe der getroffenen Lösung auch nicht zugestimmt.
Was in Nachbarländern wie etwa Deutschland problemlos funktioniert, nämlich auf mehrspurigen Straßen vor Unfallstellen rechtzeitig eine Rettungsgasse für Einsatz-Fahrzeuge zu bilden, soll demnächst auch in Österreich praktiziert werden. Sprich: Die Autofahrer werden gesetzlich in die Pflicht genommen. Wer sich ab 1. Jänner 2012 nicht regelkonform verhält und dadurch Unfallhelfer behindert, muss je nach Schwere des Vergehens mit Geldbußen von – voraussichtlich – 72 bis 2.180 Euro rechnen.
Wie eine Rettungsgasse im Fall der Fälle zu entstehen hat, wird seit einigen Wochen durch eine Online-Kampagne der ASFINAG anschaulich demonstriert: zum einen mit einem Rettungsgasse-Schulungsvideo auf Youtube, zum anderen über die Website www.rettungsgasse.com.
Damit nicht genug, startet die ASFINAG mit 1. Dezember eine drei Millionen Euro teure Info-Kampagne mit rund 600 TV-Spots sowie Hörfunk-Beiträgen und 2,5 Millionen Foldern. Außerdem wird an Autobahnen und Schnellstraßen mit Plakaten sowie Überkopf-Wegweisern („sofern es die Verkehrssituation zulässt“, wie man betont) auf das neue Gesetz hingewiesen. Im Frühjahr 2012 soll dann eine zweite Offensive gestartet werden, um auch ausländische Autofahrer zu informieren.
So weit, so gut. Zumal heimische Verkehrsexperten die künftige Rettungsgasse-Vorschrift unisono begrüßen. Jedenfalls wurde dieser Eindruck in der Öffentlichkeit bis zuletzt vermittelt: „Einsatzfahrzeuge können durch die Bildung einer Rettungsgasse um bis zu vier Minuten schneller bei den Unfallopfern eintreffen. Die Überlebenschancen steigen so um 40 Prozent“ (Verkehrsministerin Doris Bures). „Für unsere Fahrzeuge gibt es auf dem Pannenstreifen oft fast kein Durchkommen. Da ist die Rettungsgasse eine große Erleichterung“ (Josef Buchta, Präsident des Bundesfeuerwehrverbands). „Aus anonymen Lenkern im Stau kann so eine Gemeinschaft werden, die Einsatz-Organisationen unterstützt und Unfallopfern hilft“ (ÖAMTC-Chefjurist Andreas Achrainer). „Ich bedanke mich bei den Feuerwehren und den Autofahrer-Clubs. Wir haben gemeinsam die Rettungsgasse gefordert, jetzt wird sie umgesetzt“ (Wolfgang Kopetzky, Generalsekretär des Österreichischen Roten Kreuzes).
„Probleme nur auf Sparstrecken mit schmalen oder fehlenden Pannenstreifen“
Doch von einer Gemeinsamkeit kann jetzt offenbar keine Rede mehr sein. Dieser Rückschluss liegt zumindest nach der jüngsten Wortmeldung von ÖAMTC-Verkehrschef Willy Matzke nahe. Im Vorfeld einer ausschließlich für MPKA-Mitglieder (Motor Presse Klub Austria) geplanten ASFINAG-Pressekonferenz hat Matzke an MPKA-Präsidentin Renate Okermüller heute folgendes Schreiben gerichtet (wörtliche Wiedergabe):
„Selten ist in einem Projekt so viel Unwahrheit und so viel Geld ausgegeben worden wie bei der unseligen Rettungsgasse. Erlauben Sie mir daher einige sachliche Feststellungen (…): Es stimmt nicht, dass der ÖAMTC eine Rettungsgasse verlangt hat und daher der getroffenen Lösung zugestimmt hat.
Fakt ist, dass 90 Prozent der Rettungseinsätze im ASFINAG-Netz in der Erstversorgung (und nur dabei geht es um einen Zeitgewinn) durch die ÖAMTC-Hubschrauber abgewickelt werden. Diese sind in die ÖAMTC-Unfallforschung integriert, die ich gemeinsam mit meinem Kollegen DI Markus Schneider leite. Diese Hubschrauber machen beim Anflug auf den Unfallort eine ausreichende Bilddokumentation. Aus hunderten Fotos sieht man, dass bisher die Anfahrt der terrestrischen Rettungskräfte bei voll ausgebauten Pannenstreifen klaglos über diese Pannenstreifen abgewickelt werden konnte. Probleme gab es für Rettungsfahrzeuge nur auf Sparstrecken mit zu schmalen oder gar keinen Pannenstreifen.
Der ÖAMTC ist (wie auch der ARBÖ) zu einem Zeitpunkt in Vorbereitungsmeetings einbezogen worden, wo das politisch gewünschte Ergebnis praktisch schon festgestanden ist. Vorgeschlagene Änderungen sind ganz einfach negiert worden. Daher hat der ÖAMTC die Arbeitsgruppen Öffentlichkeitsarbeit, Verkehrspsychologie und Verkehrsmanagement vor Abschluss der Beratungen unter Protest verlassen. Auch der Vertreter des Verkehrsministeriums war mit den ausgeführten Protokollen der Arbeitsgruppe Verkehrsmanagement nicht einverstanden.
Der ÖAMTC hat von Anfang an die Forderung eingebracht, dass voll ausgebaute Pannenstreifen immer frei gehalten werden müssen. Das entspricht übrigens auch den Vorschriften in Deutschland, die aus einer Zeit stammen, als es noch viele Autobahnen mit zu schmalen oder gar keinen Pannenstreifen gab, wie es heute noch zwischen Salzburg und Rosenheim der Fall ist. In Österreich gab es auch schon bisher die gesetzliche Vorschrift, vorrückende Rettungskräfte in keiner Weise zu behindern. 90 Prozent der Unfälle mit Schwerverletzten oder mit tödlichem Ausgang ereignen sich übrigens nicht auf Autobahnen, und für diese Strecken ist die Rettungsgasse nicht vorgeschrieben.
Mit einer Empfehlung zur Bildung einer Rettungsgasse, wie das in der Schweiz der Fall ist, hätten wir uns anfreunden können, aber ohne entsprechende Strafandrohung. In der Praxis bedeutet die jetzt getroffene Regelung, dass bei jedem Stau, d.h. also jeden Tag im Großraum Wien und Linz, ein ständiges Pendeln zwischen der eigentlichen Fahrbahn und dem Pannenstreifen erfolgen soll, was in der Praxis nicht funktionieren kann.
Als wichtigste Forderung hat der ÖAMTC eingebracht, dass bei winterlichen Fahrbedingungen LKWs nur am jeweils äußersten Fahrstreifen fahren dürfen, um die Schneeräumung durchgehend zu ermöglichen. Dem ist man nicht gefolgt und so wird es weiter Schneechaos und total verstopfte Autobahnen geben, und auf nicht geräumten Rettungsgassen kommen auch Einsatzfahrzeuge nicht voran.“
So viel zum Thema „Rettungsgasse“ aus der Sicht des langjährigen ÖAMTC-Verkehrsexperten. Auf die Reaktionen (oder Nicht-Reaktionen) darf man gespannt sein…
Website des Verkehrsministeriums: www.bmvit.gv.at
Website des ÖAMTC: www.oeamtc.at