Bis 2020, so hieß es im Vorjahr aus Brüssel, wolle man die Zahl der Verkehrstoten EU-weit halbieren. Vornehmlich durch elektronische Assistenz-Systeme im Auto, die der Vermeidung von Unfällen dienen. Doch: Selbst wenn diese passieren, lässt sich die Sterberate noch senken – dank des automatischen Notruf-Systems „eCall“, das bei einem Crash selbsttätig Rettungskräfte alarmiert. Pflicht soll dieser Lebensretter aber erst 2015 werden.
Viele Köche verderben den Brei. Bei der europaweiten eCall-Einführung mischen immerhin 27 EU-Mitglieder samt ein paar teilnehmenden Nicht-EU-Staaten mit, von denen einige die Zubereitung verzögern. Grund: In diesen Ländern müssen Rettungsleitstellen erst aufgerüstet werden, damit die automatische Verbindung zwischen verunfalltem Fahrzeug und Notruf-Zentrale auch klappt. Und das dauert offenbar seine Zeit, weshalb die verpflichtende Vorschreibung von eCall in Neuwagen erst 2015 in Kraft treten soll. Die konkreten Pläne dafür will die EU-Kommission morgen, Donnerstag, offiziell bekannt geben.
So weit, so zäh. Denn 2009 – also ein Jahr, bevor man in Brüssel das hehre Vorhaben publik machte, die Zahl der Verkehrstoten bis 2020 auf die Hälfte zu reduzieren – gab es bereits den ersten eCall-Vorstoß. Damals wollte die zuständige Kommission das automatische Notruf-System in der EU auf „freiwilliger Basis“ einführen. Zeithorizont: 2014. Leider versandet.
eCall könnte sich zum wichtigsten Sicherheitsfeature entwickeln
In naher Zukunft wird eCall, davon sind Experten überzeugt, den womöglich wichtigsten Stellenwert bei automobilen Sicherheitsfeatures einnehmen. Einen besonderen hat es ohnehin schon, weil es sich weder der aktiven Sicherheit (Unfallvermeidung) noch der passiven Sicherheit (Crashverhalten) eindeutig zuordnen lässt. Klar ist nur eines: Sind verunglückte Auto-Insassen verletzt, kann jede Minute ausschlaggebend sein, in der früher Hilfe geleistet wird.
Durch eCall werden die Rettungsdienste umgehend über die Notruf-Nummer 112 alarmiert und dabei gleichzeitig via Satellit über den Standort des verunfallten Fahrzeugs informiert. Zur Unfall-Erkennung werden in der Regel die Verzögerungsraten der Aufprallsensoren sowie Auslöse-Signale von Airbags ausgewertet. Dank dieser Technologie, so wurde errechnet, kann die die Zeitspanne zwischen Unfall und Eintreffen professioneller Helfer je nach Örtlichkeit um 40 bis 50 Prozent verkürzt werden!
Nach Meinung der EU-Kommission habe eCall daher das Potenzial, „in Europa jedes Jahr hunderte Menschenleben zu retten und die Schwere von Verletzungen und Traumata in zehntausenden Fällen zu vermindern“. Wie gesagt: das Potenzial. Denn derzeit funktioniert der elektronische Lebensretter, wie ihn schon einige Autohersteller mit eigenen Systemen anbieten, freilich nur in jenen Regionen Europas, wo eine ausreichende Mobilfunk-Netzabdeckung gewährleistet ist.
Womit wir wieder beim eingangs angestellten Vergleich mit den vielen Köchen und dem verdorbenen Brei gelandet sind. Es ist nicht einzusehen – EU-Koordinierung hin, gesetzgeberische Verfahrensdauer her –, dass Neuwagen-Käufern im „Mobilfunk-Land“ Österreich diese segensreiche Sicherheitsausrüstung erst 2015 ohne Aufpreis offeriert wird.
Die Auto-Industrie sollte von sich aus eCall nach EU-Standard forcieren
Hier also wäre die Auto-Industrie gefordert (die natürlich noch die EU-Vorgaben der technischen Standards abwarten muss), mit gutem Beispiel voranzugehen und ihre Fahrzeuge schon deutlich vor 2015 mit dem einheitlichen eCall-Modul serienmäßig auszustatten. Und zwar nicht nur in den oberen, sondern auch unteren Klassen – sofern im Modell-Portfolio. Damit sich der ESP-Effekt nicht wiederholt und Autokäufer mit schmalem Geldbörsel erst gar nicht die „Chance“ bekommen, auf Sicherheit zu verzichten.
Ob’s ein Wunschtraum bleiben wird? Gut möglich, nachdem sich die „Brüsseler Spitzen“ anscheinend nicht mal sicher sind, ihre Pläne bis 2015 europaweit durchzusetzen. Weshalb sonst fordern sie die EU-Mitgliedsstaaten laut der deutschen Nachrichtenagentur dpa auf, „die Telekommunikations-Branche und die Fahrzeug-Industrie für die technischen Voraussetzungen in die Pflicht zu nehmen…“?